WINTERBERG
Winterberg, das liegt ja auf der Hand, ist kein Wintersportort im Sauerland, sondern das Gegenteil von Sommerloch. Soll heißen: Voll viel los gerade. Seit unserem letzten Newsletter im Mai (Genau! Der mit den Verpackungen! Unser meistdiskutierter Newsletter aller Zeiten, der es bis in die Vorstandsetagen von internationalen Biomultis in aller Welt geschafft hat, oder theoretisch hätte schaffen können, wer weiß) — seit also diesem letzten Newsletter hat sich das eine oder andere Erzählenswerte angehäuft. Man weiß es zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht, aber es besteht eine gewisse Chance, dass das hier wieder mal ein eher etwas längerer Text wird. Ganz schnell eingeschoben die übliche frohe/traurige Botschaft zum Jahresende: Wir schließen zwischen den Jahren, und zwar vom 24.12. bis 2.1. Am Freitag, 3.1. geht dann alles weiter wie vorher, oder sogar noch besser.
In einem zum Scheitern verurteilten Versuch, noch einmal an den überwältigenden Erfolg unseres Verpackungsnewsletters heranzukommen, hier ein Plastiknachtrag in Form von zwei Plastikfakten, der nahtlos und subtil in eine Werbebotschaft übergeht:
Kontraintutives Umweltfaktum #86: Ihr tut gleich viel Mikroplastik ins Meer, egal wieviel oder wenig Plastikverpackungen ihr kauft
1. In Deutschand, wie auch in anderen Ländern mit funktionierenden Müllverwertungssystemen, ist der Anteil an zuhause korrekt entsorgten Plastikmüll, der direkt ins Meer gerät („Sekundäres Mikroplastik“, das aus durch Erosion etc. zerriebenem Müll besteht), verschwindend klein.
2. Aus Deutschland stammender Plastikmüll gerät nur dann in relevanter Menge ins Meer, wenn er in Länder mit schlecht funktionierenden Müllverwertungssystemen exportiert wird.
3. Der Anteil des Mülls aus dem Dualen System (Gelber Sack), der nicht in Deutschland verwertet wird, beträgt 2%.
Das alles soll die CO2-Bilanz eines Verpackungsmaterials nochmal stärker in den Fokus eurer Kaufentscheidungen rücken als die bloße Frage nach Alternativen zu Plastik. Solche Alternativen schneiden in sehr vielen Fällen in einer solchen Bilanz nicht besser ab, als Plastik es tut (Achtung, immer vorausgesetzt, ihr trennt zuhause ordentlich!). Es kommt, man kann es nicht genug sagen, viel mehr auf den Verzicht auf Verpackungsmaterial an denn auf das bloße Ersetzen durch oft nur auf den ersten Blick bessere Alternativen. (Ja, der Hamfelder Naturjoghurt in Plastik/Pappe ist nach unserem derzeitigen Wissensstand die ökologischste Wahl!)
Kontraintuitives Umweltfaktum #87: Ihr tut deutlich weniger Mikroplastik ins Meer, wenn ihr nicht Auto fahrt und eure Plastik-Wäsche, ironischerweise, in einem speziellen Plastikbeutel wascht
1. Das sogenannte „primäre Mikroplastik“ – Plastikteile, die schon in mikroskopisch kleiner Form in die Ozeane geraten, ohne dort erst noch zerkleinert werden zu müssen, um *richtig* schädlich zu sein – macht 15-30% der Gesamtplastikmenge im Meer aus.
2. Der Anteil Europas am primären Mikroplastik im Meer ist ungefähr genauso hoch wie überall sonst, wo Leute viel Auto fahren und mit Waschmaschinen waschen, nämlich sehr.
3. Und das ist so weil: Synthetikfasern aus der Wäsche, die zu klein sind, um von Filtern in Waschmaschinen oder Kläranlagen erfasst zu werden, sowie Abrieb von Autoreifen, der vom Regen in die Flüsse gespült wird, sind in all diesen Regionen die wesentlichen Eintragswege von primärem Mikroplastik ins Meer.
Weniger autofahren könnt ihr selber, dafür gibt es ja auch andere sehr gute Gründe, und zu so einem exzellenten Wasch-Plastikbeutel verhelfen wir euch gern aus unserem Haushaltswarenregal, also los geht’s.
(Wer zu #86 und #87 und zu ein paar weiteren ähnlich interessanten Dingen noch was nachlesen und auf Seriösität überprüfen möchte, tue das hier bei Science, hier bei der IUCN, hier beim NABU und hier beim Fraunhofer-Institut UMSICHT. Und wer über diese Dinge besser bescheidweiß als jemand, der nur mal schnell zwischen Gurke verkaufen und Orangen nachräumen seine Recherchen betreiben kann, darf uns gerne verbessern!)
Großpackungen
Passt natürlich super jetzt, der Punkt. Richtig gut. Denn egal ob aus Plastik oder Papier – Großpackungen sparen Müll und sind deswegen eine exzellente Option, wenn unverpackt nicht im Angebot ist. Und wir halten zwar die Augen offen und stellen immer wieder mal was um (im Hygienebereich ist da einiges passiert z.B.), und ihr seid sehr, sehr willkommen, für Käse und Brot eure eigenen Behältnisse parat zu haben, aber ein Laden mit einem wirklich umfassenden Unverpackt-Angebot im Trockenbereich werden wir wohl nicht mehr.
Um da konsequenter zu sein, müssten wir an anderen Stellen Kompromisse machen, an denen uns unsere Kompromisslosigkeit zu sehr ans Herz gewachsen ist (z.B. Herstellerauswahl, Regionalität, Effizienz – für mehr Details siehe, natürlich, den Verpackungsnewsletter vom letzten Mal).
Viele Hersteller rüsten aber derzeit ihre Sortimente in Sachen Großpackungen ganz schön auf, darunter oft recht familienkompatible Größen. Wir haben gerade 5kg-Säcke Reis im Sortiment, und die beliebten getrockneten Mangos von Rapunzel in der 1kg-Variante (eine sogar deutlich günstigere Alternative zu den den kleinen Tüten, die zu 50% aus Mango und zu 50% aus Plastik bestehen). Und: Wasch- und Spümittel in bis zu 10 Liter großen Kanistern, auch nicht übel.
Toll auch Biologo Kaffee- und Espressobohnen im Pfandeimer von El Rojito: Großpackung, regional abgefüllt UND Pfandbehälter, besser wird’s nicht, wobei – das haben viele von euch wohl auch schon selber bemerkt, die Dinger sind ja ständig ausverkauft, die Rojitos kommen kaum hinterher.
Vieles andere können wir auf Nachfrage (gern per Mail) besorgen: Müsli, Nudeln, Waschmittel und andere nicht verderbliche Güter kann man sich, ein bisschen Stauraum vorausgesetzt, prima zuhause in groß einlagern und so die heimische Müllproduktion deutlich verringern. Und wenn sich da Trends abzeichnen, werden wir bestimmt noch die eine odere andere Großpackung mehr bei uns ins dauerhafte Sortiment aufnehmen.
Bonusinformation: Man macht es sich vielleicht nicht so klar, aber auch Unverpackt-Läden erhalten ihr Ware zu großen Teilen verpackt, und zwar in genau den Großverpackungen, die ihr bei uns kaufen oder bestellen könnt. Wenn ihr also zum Beispiel bei uns einen 10-Liter-Kanister Waschmittel holt und über ein paar Monate verbraucht, ist das ebenso ökologisch, als wenn ihr euren Bedarf portionsweise abfüllen würdet.
„AfD-Hirse“
In diversen Medien schon ein stehender Begriff, die Geschichte hat es sogar bis in den Stern geschafft – das passiert nicht so häufig, wenn ein Bioladen ein einzelnes Produkt auslistet. Wir zum Beispiel haben schon etliche Produkte aus politischen Gründen ausgelistet und damit durchaus nicht hinter dem Berg gehalten, und kam der Stern zu uns? Der Stern kam nicht.
Wir hatten allerdings bei unseren Auslistungen auch nicht die Unterstützung der AfD, die aus diesem Anlass einen veritablen, unappetitlichen Twitter-Shitstorm lostrat.
Die Geschichte geht so: Einem Betreiber einer Leipziger Biomarkt-Kette kam zu Ohren, dass der Betreiber der Spreewälder Hirsemühle – als kleiner Hersteller regionaler Hirse auch bei uns im Regal und nicht unbeliebt – im dortigen Ortsvorstand der AfD aktiv ist. Der Ladner hat die Hirse ausgelistet und seine Kunden in einem Aushang darüber informiert warum.
Der Briefwechsel, der sich darauf zwischen ihm und Herrn Plessow von der Hirsemühle entspann, liegt mir immer noch schwer im Magen. Reupert, der Leipziger, bleibt vorbildlich sachlich und prallt damit vollkommen an der wutgeifernden Philippika des AfD-Mannes ab. Wäre er nicht sachlich geblieben, sondern hätte zurückgegeifert, wäre er ebenso abgeprallt, oder noch doller – eine absolut hoffnungsloser Versuch der Verständigung zwischen Menschen in zwei Welten, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben und keinerlei Konsens bieten.
Nun sind gegen Argumente und Sachlichkeit unempfindliche, wutgeifernde AfD-Männer ja eigentlich nichts Neues – und doch: Diese Tirade trifft mich schlimmer, weil sie in einer Blase stattfindet, in der ich und wir uns sonst so sicher fühlen, so einer Meinung. AfD-Shitstorms – das gibt es doch sonst nur im Fernsehen. Oder im Internet. Nicht in echt. Nicht vor der eigenen Haustür.
Beklemmend. Beklemmend der Briefwechsel, beklemmend die Geschichte von der sächsischen Bioladnerin, die sich (neben zahlreichen anderen Händlern und Großhändlern) ebenfalls von der Spreewälder Hirse verabschiedete, aber ganz leise, weil sie, anders als wir, nicht den Schutz einer gemütlich grün-links-urbanen Konsensblase genießt und bei jedem dritten Menschen, der ihren Laden betritt, damit rechnen müsste, dass er sie dafür anbrüllt. Noch beklemmender die vielen, vielen Kommentare unter diesem mdr-Artikel, die fast einstimmig bereits genau das tun: Brüllen und schimpfen und diffamieren – und für einen Moment hat man das Gefühl, als wäre man selbst in der sonst meist so beschaulichen Bio-Blase von einer Überzahl geifernder Wutmenschen umzingelt.
Sind wir natürlich nicht. Die sind viele – aber nicht so viele, wie sie manchmal scheinen. Die sind halt nur sehr laut, deswegen wirkt das so. Oder? ODER?
So oder so:
Natürlich sind Einkaufsentscheidungen immer auch politische – wenn ich jemandem mein Geld gebe, dann habe ich eine gewisse Verantwortung dafür, was er damit macht. Jeder Kauf behinhaltet eine implizite Billigung einer Unternehmenspolitik. Und natürlich gilt das für Verbraucher wie für Händler. Und natürlich ist man sich darüber in der Biobranche nochmal deutlich bewusster als anderswo, das möchten wir jedenfalls hoffen.
In Zeiten, in denen ökologisch nachhaltiges Wirtschaften an allererster Stelle darauf gerichtet sein muss, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, verkaufen auch wir natürlich nicht länger ein Produkt von einem Unternehmen, dessen Leitung – neben anderen Entgleisungen – der Meinung ist, es gäbe keinen menschengemachten Klimawandel, und von der man daher auch nicht erwarten kann, dass sie ihre Unternehmenspolitik in unserem Sinne ausrichtet.
Nur dass in diesem Falle einer unserer Rauswürfe ein kleines Familienunternehmen trifft, das von den zahlreichen Auslistungen durchaus existentiell bedroht sein könnte – und dessen Belegschaft zu geschätzten drei Vierteln vermutlich keine menschen- und umweltfeindliche Ideologie vertritt. Das ist bitter, aber ändert nichts. Wir wollen enge, lange und vertrauensvolle Beziehungen zu unseren Herstellern und Lieferanten. Wo soll das wie zusammenpassen?
Im Zukunft also bei uns keine Hirse von der Spreewälder Hirsemühle, sondern stattdessen von der Bohlsener – die inzwischen, anders als die meisten anderen, ebenfalls Hirse aus Deutschland vertreibt.
Wir in unserem behaglichem Bionest dürfen vermutlich mit positiven Rückmeldungen rechnen, was diese Entscheidung angeht. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb fällt sie uns leicht. Respekt vor denen da draußen an den Rändern der Blase, die so etwas im Gegenwind entscheiden müssen.
gut2
Das Wasser von St. Leonhard verlässt uns. Nicht so sehr, weil die Firma einer originellen Verschwörungstheorie hofiert. Die war selbst mir bis vor kurzem unbekannt, ich habe mich als als passionierter Sammler obskurer Verschwörungstheorien durchaus an ihr gefreut, man könnte aber über ihre Verbreitung durchaus mit Recht schimpfen.
Auch nicht, weil das ganze Belebtes Wasser/Vollmondabfüllung/Geomantie-Ding nicht so ganz unser Sport ist.
Tatsächlich sind es ökologische Gründe.
Wir haben uns immer wieder mal daran gerieben, schwere Glasflaschen mit Mineralwasser aus Bayern zu importieren, wo es doch hochwertige Quellwässer auch hier in der Nähe geben müsste (und, noch viel ökologischer, einwandfrei trinkbares Leitungswasser sowieso). Inzwischen sind wir auf gut2 gestoßen, das nicht nur den Geschmackstest bestanden hat, sondern aus einem integrativen Betrieb im Naturpark Aukrug in Schleswig-Holstein stammt – und aus einer Quelle, aus der bewusst nur 1000 Liter von den 12.000, die in der Stunde da so sprudeln, entnommen werden, damit der Rest in die Natur fließen kann. Das kaufen wir gern, und ihr jetzt hoffentlich auch.
Neue Produkte
Im Bereich Drogerie ist 1,2,3, ganz viel passiert. Zu viel zum Auflisten. Einfach sich mal drei Stündchen Zeit nehmen und durch die üppigen Regalmeter flanieren. Auch mal unter die Käsetheke gucken dabei, wo wir doch jetzt alle Großverpackungen kaufen künftig. Und da dann mal um die Ecke gucken und denken: „Huch, die haben ja jetzt auch Zahnpasta in Tablettenform.“ Aber gern auch mal an den Sachen vorbeigucken ins schöne Blau der Wand und an Meer denken. Das wird schön!
Bei den Getränken Limo Nana und Ginger Root von Ände – süffige Minz- bzw Ingwer-Limos – sowie Lunaria-Weine – aus Italien und alle ziemlich lecker.
Wer sich für den noch etwas unscharf definitiven Trend der Naturweine (nicht jeder Trend muss schlecht sein) interessiert – der rote Vega Valterra Bobal ist schon länger da, relativ neu noch der weiße Menade Nosso. Checkt das! Ebenso den Amaretto Liqueur. Ist ja bald Weihnachten und Weihnachtszeit ist Tiramisùzeit, oder? (Ach so, der Italiener macht original gar keinen Amaretto da rein… egal, das hilft dem Verkauf jetzt nicht wirklich. Also weiter:)
Aus dem (erweiterten) Kühlbereich Bruderhahngerichte vom Bauckhof im Glas. Und ein wachsendes Sortiment von der Hofmolkerei Dehlwes (Joghurt auf Frucht, Sahne, Schmand,…) über das wir sehr froh sind, denn (siehe oben) je regionaler desto schöner.
Hä? Wie, schon zu Ende?
Das war ja wieder mal n Klacks.
Aber die Themen für den nächsten stehen schon schlange, also nix wie raus damit, nach dem Newsletter ist vor dem Newsletter.
Kommt gut rein und rüber und wieder raus
wünscht euch jovial
die warenwirtschaft.