newsletter #61

Da kommt man eines morgens zur Arbeit, und dann hat uns jemand sowas vor die Tür gemalt.

Wie schön ist das denn? 

Sehr schön ist das denn.

Wir danken einem unbekannten Menschen für diesen Ausdruck von Wertschätzung – und reichen ihn gleich zurück ins Publikum (nicht den Menschen, den Ausdruck).

Dinge, die ich mich selber nicht mehr sagen hören kann:

„Nimmst du dir bitte einen Wagen mit rein?“
„Nee, nur eine Person pro Wagen bitte.“
„NEEEE, bitte nicht zusammen mit zwei Wagen einkaufen, dann müssen die Leute draußen noch länger warten. BITTE.“
„Kannst du bitte die M— genau. Danke.“
„Mit Maske bitte.“
„Bitte nur mit Maske.“
„Nee, bitte genau nicht zum Sprechen runterziehen, das ist wirklich NICHT DER SINN DER… nicht der Sinn der Sache. Danke.“
„Hast du eine Maske dabei? Suuuper. Danke.“
„Könntet ihr bitte euer Gespräch auf nach dem Einkauf, also später– Draußen ist eine lange…  ja. Eben. Nee, kein Stress. Da stehen halt nur die Leute bis rüber auf die andere Seite der… Ja.“

Moment, inwiefern ist das jetzt ein Ausdruck von Wertschätzung euch gegenüber? Insofern: Ihr seid nach wie vor in überwältigender Überzahl aufmerksam, respektvoll und geduldig, und wenn so Ansprachen wie die obigen nötig werden, reagiert ihr darauf auch dann mit Verständnis, wenn sie uns vielleicht in der 128. Iteration nicht mehr ganz so freundlich und herzlich geraten wie es angezeigt wäre. In der warenwirtschaft sind die Leute immer so nett, sogar mit Corona und allem! Selbst wenn sie ewig draußen Schlange stehen! Selbst wenn sie gelegentlich über all das anderer Meinung sind als wir! Was sind das nur für Leute? Wieso pöbeln die nicht rum, das macht man doch eigentlich heute so? Verrückt!

Dafür ganz vielen Dank.

Wir glauben übrigens an Corona. 
Das sei einmal gesagt. Corona existiert! Vieles spricht dafür!
Wir machen den Kram nicht nur mit weil wir müssen, sondern weil wir dem wissenschaftlichen Konsens, unserer vielfältigen Medienlandschaft und unserer im weltweiten Vergleich erstklassigen Demokratie – bei aller Kritikwürdigkeit im Detail, wir sind ja weiß Gott alles andere als CDU-Wähler – im Großen und Ganzen vertrauen.

Dass man sich in diesen Tagen gelegentlich dafür rechtfertigen muss, dass man Einschätzungen von renommierten Fachleuten mehr Glauben schenkt als irgendwelchem pseudoseriösen Geraune auf YouTube ist eine neue, interessante und bisweilen irritierende Erfahrung.

Welche staatliche Maßnahme wie wirksam war, sei dahingestellt. Und ob man jetzt früher oder lieber später hätte lockern sollen, und ob wirklich die Bundesliga vor den Kitas hätte öffnen müssen, und wer warum wie getestet wird, und wer systemrelevant ist und wer nicht – diese Dinge werden zurecht allüberall hitzig diskutiert. 

Aber wir sind doch recht froh darüber, dass wir allem Anschein nach dank der Gesamtheit der Maßnahmen bisher vergleichsweise glimpflich durch die Krise gesegelt sind und nicht in Manaus, New York oder inzwischen leider auch Schweden sitzen. Ebenfalls froh sind wir mit den Regeln, die wir uns inzwischen für unseren Laden-Alltag überlegt haben, um uns und euch ein möglichst entspanntes Dasein bei möglichst geringem Ansteckungsrisiko zu ermöglichen.

Wie absurd, dass man überhaupt das Gefühl hat, sowas aussprechen zu müssen.

Die überwältigende Mehrzahl unserer Mitmenschen zieht ja mit und bleibt – auch in einer gegebenenfalls kritischen Haltung – vernünftig. Aber manch einer eben auch nicht. 

Im normalen Leben ist es Privatsache und innerhalb gewisser Grenzen weitestgehend egal, welches Mischverhältnis von Wissenschaft und alternativen Weltanschauungen (und allerlei interessanten Dingen in den Grauzonen dazwischen) jemand zur Grundlage seiner Lebensentscheidungen macht. 

Aber dann hat man plötzlich eine Situation, in der man als Gesellschaft für das Verstehen und Bewältigen eines so komplexen und aus individueller Perspektive schwierig greifbaren Problems wie Corona in nie dagewesener Dringlichkeit auf das Vertrauen in echte, knallharte Wissenschaft angewiesen ist. 

Da, wo einzelne Menschen diese alternativen Weltanschauungen dann nicht mehr komplementär zu, sondern anstelle von Wissenschaft ins Feld führen – oft mit einer Gewissheit, die ein seriöser Wissenschaftler sich selbst nie gestatten würde – wird das dann zu einem ärgerlichen, gar gefährlichen gesellschaftlichen Klotz am Bein. Das Private ist politisch, klar, aber herrjeh, könnte es es hier nicht vielleicht ausnahmsweise mal einfach nur das Private bleiben?

Zum Beispiel in Sachen Quatsch, mit dem der Gründer von Rapuzel jetzt um die Ecke kommt.

Rapunzel ist in so vieler Hinsicht vorbildlich, wir haben da ja auch schon vieles über den grünen Klee gelobt in Sachen Transparenz, Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. 

Vor diesem Hintergrund ist es doppelt schmerzhaft, das rechts außen wunderbar anschlussfähige und in weiten Teilen völlig unhaltbare Corona-Geschwurbel von Joseph Wilhelm zu lesen, das er kürzlich in mehreren seiner Wochenbotschaften auf der Rapunzel-Webseite verbreitete. 

Was dort in großväterlich-ganzheitlichem Tonfall daherkommt, ist zwischen den Zeilen gut belegbar menschenverachtend, mysogyn, wissenschaftsfeindlich, dünkelhaft. Das widerspricht nicht nur unseren Werten, sondern auch denen, für die Rapunzel unserer Wahrnehmung nach immer stand und weiter stehen sollte. In einer unbefriedigenden Stellungnahme beklagt sich Wilhelm vor allem, wie ungerecht er von den Medien behandelt wurde, ohne auf die inhaltliche Kritik einzugehen.

Wir könnten das alles vielleicht mit einem Kopfschütteln abtun, wenn es lediglich als Wilhelms Privatmeinung irgendwie zu uns hinüberdiffundiert wäre. Aber er hat er das Unternehmen als Sprachrohr für diese seine Privatmeinung verwendet. Uns interessiert daher nun brennend, wie groß die Trennschärfe ist zwischen den Werten von Rapunzel als Unternehmen und denen von Joseph Wilhelm, und wie Rapunzel als Unternehmen sich dazu positionieren möchte.

Diese Frage haben wir auch an Rapunzel gestellt und sind gespannt auf die Reaktion.

(Die betreffenden Texte sind inzwischen von der Rapunzel-Seite verschwunden, aber ein kritischer Geist hast sie hier und hier archiviert, für alle, die sich selbst ein Bild machen wollen.)

 

Aber genug davon! Reden wir über etwas anderes, um auch mal wieder ein Nicht-Corona-Thema hier unterzubringen.

 

Reden wir über Veganismus.

Sieben Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland kommen laut Umweltbundesamt allein aus der Tierhaltung. Das ist ja schon ganz beachtlich – und da sind die Soja-Futtermittelimporte, für die anderswo hektarweise Regenwald gerodet wird, noch nicht einmal eingepreist, weil es dem Umweltbundesamt dabei explizit um auf deutschem Boden emittiertes CO2 geht. So spricht denn auch die Welternährungsorganisation von einem Anteil der Tierhaltung am globalen CO2-Ausstoß von 14,5 Prozent, und es gibt andere Schätzungen, die das noch höher veranschlagen.

So oder so: Ernährung wird nicht so oft thematisiert, wenn es um Klimarettung geht, aber das ist ein beträchtlicher Batzen, an dem durchaus ein Hebel angesetzt werden muss.

Der bei weitem größte Emissionsbeitrag dabei kommt von: Kühen. Wegen Pups.

Was dazu führt, dass ein Stück Kuhkäse ähnlich viel CO2 verantwortet wie dieselbe Menge Schweinefleisch. Und beide sehr viel mehr als dieselbe Menge Linsen. Das und vieles andere in Sachen Essens-CO2 kann man sich wunderbar auf dieser Seite hier veranschaulichen.

Das alles bedeutet, dass der Vegetarismus gegenüber traditioneller Carnivorie nicht per se einen Klimavorteil bringt. 
Der Veganer hingegen hat recht! Und die Veganerin auch.
An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei.

Bloß wird dem Veganismus der Weg in den Mainstream sehr, sehr schwer fallen. 

Mein Großvater („Oppi“) war Ungar. Ich habe von ihm gelernt, wie man Szegediner Gulasch kocht. Wenn ich Szegediner Gulasch mache, am liebsten für viele Leute, dann ist das nicht nur irgendein Zeug, um den Magen vollzumachen. Das Zubereiten und Verspeisen von Szegediner Gulasch in großer Runde ist eine Würdigung unserer gemeinsamen Vergangenheit, von Oppis Kultur, Herkunft und Familiensinn – er war immer am glücklichsten, wenn er alle um sich herum an der langen Tafel versammelte, rauschige alte Kassetten mit wilden Csárdás-Geigern im Hintergrund. Oder halt mit André Rieu, weil der die alten Strauß-Walzer immer so schön ordentlich mit Schmiss spielt.

Nie wieder Szegediner Gulasch?
Tut mir leid, Welt. Auf keinen Fall.

Für zu viele Menschen ist Essen mit zu vielen solchen oder ähnlichen Geschichten verknüpft – mit Familie, mit Herkunft, mit Erinnerungen, mit Zuhause –  um ihre Traditionen von heute auf morgen komplett über Bord zu werfen: Was Mama immer gekocht hat, wenn man als Kind krank war. Ein besonders opulentes Weihnachtsgericht. Der Käse aus dem Laden in dem kleinen französischen Dorf, wo man seit Jahren Urlaub macht. Oder einfach der tröstliche Schmelz von Vollmilchschokolade.
Das schaffen bisher nur 1,2% von uns. Das ist nicht viel.

Aber.

Was wir brauchen, um durch Essen einen substantiellen Beitrag zur Klimarettung zu leisten, sind ja nicht notwendigerweise mehr Veganer. Es ist bloß mehr Veganismus.

Nein, es ist in aller Regel nicht dasselbe, wenn man in ein geliebtes Gericht einfach Sojasahne statt Kuhsahne kippt. Oder wenn man eine optisch täuschend echte Currywurst aus Tofu nachbildet. 

Aber die Welt ist voll von hervorragendem Essen, das schon von sich aus und seit Generationen vegan ist und keine Ersetzungen braucht, da muss man nur mal ein bisschen Richtung Asien schauen zum Beispiel.

Jedes verspeiste tierfreie Gericht ist ein Plus. Und da kann man nun wirklich nicht von Verzicht reden, selbst wenn man noch so gern Fleisch, Ei, Milch isst. Siehe Mittagstisch bei uns im Café: Was es da an tierfreien Optionen gibt (inzwischen deutlich mehr als die Hälfte), ist samt und sonders in erster Linie sehr gutes Essen, und erst in zweiter Linie vegan.

Hundert Leute davon überzeugen, ganz und gar auf tierische Produkte zu verzichten? Extrem schwierig. Tausend Leute davon überzeugen, ihren Speiseplan um gute Rezepte und Produkte ohne Tier aufzumöbeln? Machbar! Und die dürfen dann immer noch gelegentlich und unter großer Wertschätzung Szegediner Gulasch essen.

Fürs Klima sind beide Varianten gleich hilfreich.

Und sogar das Ersetzen und Nachbilden klappt in einer wachsenden Zahl von Einzefällen so gut, dass auch leidenschaftlichen Tierproduktessern wie mir an den Alternativen nichts fehlt. Dass Hafermilch super ins Müsli passt, haben eh schon viele gemerkt, das sieht man daran, wieviel wir davon verkaufen, und der vegane Zwergenwiese-Zwiebelschmelz als Schmalz-Anwärter ist eh ein Klassiker. Aber da hört es ja nicht auf.
Der Fleischsalat aus Jackfruchtfleisch? Selbst für eingefleischte (ha!) Kenner kaum vom Original zu unterscheiden. 
Burger-Patties Tex-Mex oder Black Bean? Ergeben sehr gute Burger, denen niemand das Fehlen von Kuh übelnehmen kann.
Und die „Leberwurst aus Linsen“ von Hedi schmeckt nicht nur ein bisschen wie Leberwurst, sondern so überzeugend wie eine richtig gute, dass das eigentlich schon echt nix mehr für Veganer ist. Wir erzählen uns gerne gegenseitig, wie erstaunlich wir die „Leberwurst aus Linsen“ von Hedi finden, wann immer wir in trauter Runde zusammensitzen. „Und die ‚Teewurst aus Linsen‘ von Hedi“, sagt dann für gewöhnlich jemand, „ist auch nicht zu verachten.“

Und mit diesem Schlusswort schalten wir zu den MELDUNGEN.

MELDUNG 1: Unser diesjährige Schließzeit schließt uns diesjährig vom 12. bis 26.7. Seid gewarnt.

MELDUNG 2: In Sachen Warenstrom hat sich vieles normalisiert, aber noch lange nicht alles. Wenn euch eine gewisse Beliebigkeit im Füllstand unserer Regale aufgefallen ist, dann hat das damit zu tun, dass wir diverse Produkte nach wie vor in lustigen Ringelreihen mal von diesem, mal von jenem Hersteller bekommen, oder mal auch gar nicht Aber immerhin: Die Versorgung mit Hefe und Klopapier ist inzwischen weitestgehend sichergestellt, ihr könnt wieder nach Lust und Laune Klopapier-Pizza backen. Was also soll passieren? Wir schaffen das.

MELDUNG 3: Falls sich unter euch Lesenden die Menschen befinden, die ihre leeren Müsli-, Gemüse- und sonstige Tüten unter unseren Waagen deponieren: Die Idee, Verpackungen umzuwidmen und für Gemüse wiederzuverwenden ist natürlich volle Pulle warenwirtschaft. Aber bitte nur für den Eigenbedarf! Sonst wird das hygienisch schräg – dieser Tage besonders, aber sonst eigentlich auch. Also gerne bringen, aber dann auch wieder mitnehmen, vorzugsweise voller Warenwirtschaftswaren.

MELDUNG 4: Es wird aber über uns kommen ein großer Paradigmenwechsel, und es wird sich erheben ein großes Wehgeschrei vielleicht.
Denn: Wir haben eine Waage für die Kasse angeschafft (und vorerst in den Keller gestellt). 

Das heißt: Das Ende des Selberwiegens ist in Sicht, aller Voraussicht nach ab nach unserer Sommerschließung. Das hat komplizierte und langweilige Gründe, die alle mit dem neuen Kassengesetz zu tun haben; vielleicht erklären wir die mal in einem anderen Newsletter, wenn uns nichts Spannenderes einfällt. 

Schade. Aber so ist es jetzt halt mal.

Das waren die MELDUNGEN, jetzt zurück ins Hauptstadtstudio zu Florian und Reuli mit den NEUEN PRODUKTEN.

NEUE PRODUKTE

Harvest Moon: Kombucha nicht pasteurisiert, also mit lebendigen Kulturen
außerdem die frische nicht-tierische Milch im Kühlregal – schmeckt manchen schon fast ZU sehr nach Kuhmilch…
und andere Sorten des Kokosmilch-Joghurts.

Bratherings-Filets

Zu den Weinen ohne Schwefelzusatz auch ein Schaumwein: Cremant d’Alsace ohne Schwefel
Sehr hübsche und ebenso leckere Weine von El Cerrón (Kennerinnen und Kenner kennen auch deren Käse): „Remordimiento“ Chardonnay und „El Tiempo Que Nos Une“ Merlot.
Wildwein Grauburgunder in der Liter-Pfandflasche. Ein Geheimtipp in der günstigen Weinregion, jetzt dann wohl nicht mehr geheim, Mist, Anfängerfehler.

Urstrom Witbier
Neumarkter Dunkelbier mit Zitrone und Limo Fantasty mit Himbeer und Zitrone

Wieder da: Apfel- und Mischsäfte aus dem Klützer Winkel vom Tropfenkontor und auch ein leckerer Cider aus dem gleichen Hause.

Die erwähnten Aufstriche von Hedi – das Design versprüht eine gewisse Freudlosigkeit, aber wirklich schmackiger Inhalt. Für kurze Zeit (solang die Beere erntewillig ist): Tortenböden von Wertz
Würzige Cashews von GutDing (im Pfandglas!)
und überhaupt: so einige andere Dinge im Pfandglas!!!

Und DAS
soll es mal wieder gewesen sein.

Es grüßen euch

eure regierungshörigen und medial gleichgeschalteten Schafe 
von der
warenwirtschaft